grosser_feuerfalterDie Diskussion um den Gipsabbau findet gerade auch hier im Südharz meist unter dem Aspekt vorübergehender optischer Schädigung der Natur statt. Tatsächlich aber sind Gipssteinbrüche schon während des Abbaus, besonders aber nach ihrer Rekultivierung, wertvolle Lebensräume – für Tiere ebenso wie für Pflanzen. Schließlich tragen beide zur Artenvielfalt (Biodiversität), bei und gehen zum Beispiel im Rahmen der Berichterstattung zur Umwelt und nachhaltigen Entwicklung in das Umweltbarometer des Umweltbundesamtes ein.

Die in diesem Zusammenhang entstehenden Pflanzenbiotope sind immer wieder Gegenstand naturkundlicher Beobachtung gewesen. Seltener betrachtet man die Tierarten, die in den Gipssteinbrüchen ansiedeln und einen idealen Lebensraum vorfinden. Die Voraussetzungen, sich der Tierwelt zu nähern, sind jedoch von speziellen Randbedingungen geprägt: Kann man mithilfe der Pflanzenarten gute Aussagen zum Zustand eines Steinbruches bekommen, so ist dies bei Tierarten, insbesondere bei solchen mit hoher Mobilität, weitaus schwieriger, und man ist viel mehr auf Zufallsbeobachtungen oder langfristige Untersuchungen angewiesen. Die folgenden Darstellungen – die eine ganze Serie ergeben werden – sind Produkt des Zusammenwirkens der abbauenden Werke mit ehrenamtlichen Naturschützern, die vor allem am Artenschutz und nicht an politischer Diskussion interessiert sind. Dabei hat sich gezeigt, dass betriebene und aufgelassene Steinbrüche eine große Artenvielfalt und immer auch ausgesprochen seltene Bewohner beherbergen können, die in der übrigen Kulturlandschaft nur noch wenige geeignete Lebensräume finden.

Deutlich wird dabei, dass Gipssteinbrüche auch von vielen im europäischen Naturschutzkonzept „Natura 2000“ (FFH-Richtlinie, Vogelschutzrichtlinie) erfassten Tierarten mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen wie Ernährung, Fortpflanzung oder Überwinterung eingenommen werden. Die im Steinbruch zweifelsohne auch vorhandenen Störungen (Sprengungen, Brechen des Gesteins, Aufladung und Abtransport) werden toleriert, zum Teil aufgrund besserer biotischer, klimatischer und geologischer Randbedingungen. Zugleich werden viele diffuse Störungen aus dem übrigen Kulturraum, wie beispielsweise durch Besiedlung und Verkehr, mit der Folge von andauerndem Lärm, großflächiger Versiegelung, permanenter Feinstaubbelastung oder weiteren Effekten in dem durch Steilwände relativ abgegrenzten, von Hecken und Bäumen umwachsenen und durch viele Kleinbiotope reich diversifizierten Steinbruch letztendlich weniger wirksam.

Man kann einzelne Tierarten nicht speziellen Steinbrüchen zuordnen. Gerade viele Tierarten sind auch von Sammlern bedroht oder reagieren empfindlich auf nicht gewohnte Beeinträchtigungen. Für alle betriebenen und viele aufgelassene Steinbrüche gilt deshalb sinnvollerweise ein Betretungsverbot für Betriebsfremde, auch aus Gründen der Sicherheit, das letztendlich auch dem Artenerhalt nutzt.

In Deutschland gibt es rund 70 betriebene Steinbrüche (und 10 Untertagegruben), in denen Gips gewonnen wird. Dort, wo der Steinbruch entsteht, weichen die uns bekannten Lebensräume der Kulturlandschaft einer steinigen, oft schroffen Oberfläche. Für uns Menschen erscheinen diese Bereiche eher lebensfeindlich – doch Gipssteinbrüche beherbergen mannigfaltige Lebensräume für eine ebenso vielfältige, häufig spezialisierte Tierwelt.

Solche Artenvielfalt war vor etwa einem Jahrhundert noch in der gesamten Landschaft verbreitet. Der kulturhistorische Wandel innerhalb der Landnutzung führte aber
• von der Drei-Felder-Wirtschaft mit Brachestadien zu dreimaligen Ernten auf großen, maschinell entkrauteten Ackerschlägen,
• von mäandrierenden Flusstälern mit Frühjahrsüberschwemmung zu begradigten Flüssen in drainierten Flusstälern,
• von vielen kleinen Weihern zu großen Fischfarmen,
• von bewachsenen, geschotterten Wegen zu Asphaltstraßen,
• von weiten Schaf-, Ziegen- und Rinderweiden zu Intensivgrünland und Stallhaltung,
• von Feuchtwiesen zu trocken gelegtem, produktionsstarkem Grünland.

Die zunehmende Nutzungsintensität führte zu einem deutlichen und teils besorgniserregenden Artenrückgang.Landschaft ändert sich auch heute noch permanent durch Nutzungswandel. Viele kleine Restflächen wie Hohlwege oder geschotterte Lager- und Fahrflächen sind verschwunden oder werden durch maschinellen Einsatz „mitgepflegt“. Eine Vereinheitlichung der Nutzung führt aber auch unweigerlich zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume, was schließlich in einer Verarmung der Landschaft mündet. Daher kommt allen Flächen, die so genannte extreme Lebensräume beherbergen, gerade für die seltenen, im Rückgang befindlichen Spezialisten unter den Tier- und Pflanzenarten eine wichtige Rolle in der Natur zu. Steinbrüche – ob aufgelassen oder noch im Abbau befindlich – haben durch ihre besonderen Lebensräume eine steigende Bedeutung als Rückzugsräume für bedrohte Tiere und Pflanzen.

Lesen Sie die nächste Folge: Lebensräume in Gipssteinbrüchen